TRIER. Der aktuelle Trierer Bürgerhaushalt ist gestartet. Bis zum 8. Oktober können auf trier-mitgestalten Vorschläge zum städtischen Etat eingebracht und kommentiert werden. Dann werden die einzelnen Anregungen von den Nutzern bewertet und somit gewichtet. Am 15. Oktober endet der diesjährige Bürgerhaushalt, damit die besten 30 Vorschläge dem Stadtrat vorgelegt und in den Doppeletat 2015/2016 einfließen können. “Alle anderen wandern aber nicht in den Papierkorb”, betonte Oberbürgermeister Klaus Jensen am Mittwoch bei der Präsentation des insgesamt fünften Trierer Bürgerhaushalts, “sie werden sukzessive abgearbeitet.”
Bürgerbeteiligung ist ein Schlagwort, das vor allem Politiker entzweit wie kaum ein anderes. Die einen fordern sie vehement als Schwerpunkt direkter Demokratie, andere wiederum lehnen sie ab, weil sie darin eine Verwässerung der repräsentativen Demokratie sehen. So hat etwa Thomas Albrecht, Stadtrat der CDU, im Interview mit lokalo mehr Bürgerbeteiligung auf allen Eben gefordert – bis hin zu Abstimmungen über Kernfragen. Ganz so weit ist das Rathaus noch nicht. Doch über den inzwischen fünften Bürgerhaushaushalt und die Plattform trier-mitgestalten finden die Bürgerinnen und Bürger zumindest Zugang zu Entscheidungsprozessen, die sie durch eigene Vorschläge beschleunigen können.
Immer wieder hagelt es Kritik in den sozialen Netzwerken und auf Online-Portalen – so auch in den Kommentarspalten von lokalo. Zu kompliziert, zu wenig durchdacht sei trier-mitgestalten. Zudem blockiere die Verwaltung Vorschläge, ignoriere sie oder reagiere erst nach wiederholten Erinnerungen und Mahnungen. Das wollte Oberbürgermeister Klaus Jensen am Mittwoch so nicht stehen lassen. Unter seiner Regie wurde der Bürgerhaushalt eingeführt. Jensen war ferner Initiator von trier-mitgestalten. Der Koordinator des Projekts, Toni Loosen-Bach, arbeitet im Stab des Stadtchefs.
Bestimmendes Thema: Verkehr
“Bei uns wird Bürgerbeteiligung groß geschrieben”, sagte Jensen. Das hatte der Stadtchef auch jüngst erst im großen Interview mit lokalo betont. Verhehlen wollte Jensen aber auch nicht, dass viele Vorschläge und Anregungen aus finanziellen oder rechtlichen Gründen nicht umgesetzt werden können. “Alles geht eben nicht”, so der OB. So wurden laut Jensen aus dem letzten Bürgerhaushalt 34 Vorschläge für den Doppelhaushalt 2013/2014 im Stadtrat diskutiert und beraten. 16 davon seien inzwischen realisiert. Weitere Anregungen seien noch in der Prüfung.
Dass die Bürger diese erste Stufe der direkten Demokratie durchaus ernst nehmen, zeigte sich 2011. Im Zenit der weltweiten Finanzkrise, als die Stadt mit einem Defizit von rund 80 Millionen Euro zu kämpfen hatte und kurz vor dem finanziellen Kollaps stand, floss aus dem Bürgerhaushalt heraus die Anregung, eine Kulturabgabe einzuführen. Die wurde zwar später vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wieder einkassiert. Die Idee aber ist geblieben. “Wir arbeiten daran, im nächsten Jahr eine neue Abgabe einzuführen, die dann auch die gerichtliche Prüfung übersteht”, kündigte Jensen am Mittwoch an.
Der Stadtchef nutzte die Pressekonferenz am Mittwoch noch zu einer weiteren Ankündigung. Der kommunale Vollzug soll laut Jensen personell verstärkt werden, um so vor allem das Problem “Wildparken” in den Griff zu bekommen. Im Juli hatten CDU und Grüne dem zuständigen Dezernenten Thomas Egger mehr Personal für den Verkehrsüberwachungs-Dienst (VÜD) verweigert. “Die Diskussion darüber kommt stark aus der Bürgerschaft”, so Jensen. Deswegen soll gehandelt werden. Ferner will Jensen die kommunale Geschwindigkeitsüberwachung weiterhin in die Hoheit der Stadt überführen. “Wir wollen selbst entscheiden, an welchen Schwerpunkten wir kontrollieren”, betonte der OB.
Offensichtlich liegt Jensen da auf einer Wellenlänge mit seinen Bürgerinnen und Bürgern – zumindest doch mit jenen, die sich am Bürgerhaushalt beteiligen und auf trier-mitgestalten einbringen. Kein anderes Thema hat eine solch hohe Brisanz in Trier wie der Verkehr. Hier werden die meisten Vorschläge eingebracht, hier gibt es die meisten Anregungen und Kommentare. Danach erst folgen Sicherheit und der große Themenkomplex Arbeiten/Bildung/Wohnen. “Die Bürger sollen sehen, wie die Politik sich bei den Themen positioniert”, sagte Jensen. Das gelte auch für die Fraktionen des Stadtrates und die Ortsbeiräte.
Trier ist Vorbild
Finanziell kommt das Rathaus mit einem schlanken Etat aus – und ist laut Jensen dennoch Vorbild für andere Städte. 14.500 Euro an Sachmitteln lässt sich die Stadt die Beteiligung ihrer Bürger kosten. Die Personalkosten sind laut Elmar Kandels, dem Leiter der Finanzverwaltung, nicht zu beziffern, “weil sehr viele Abteilungen an diesem Projekt mitwirken”. Dennoch: Frankfurt investierte laut Jensen 600.000 Euro und habe seinen Bürgerhaushalt inzwischen wieder eingestellt. Und Stuttgart hole sich in Trier Rat. “Dort liegt die Beteiligungsquote zwar bei 6,8 Prozent der Bevölkerung”, so Volker Vorwerk vom bürgerwissen, “aber da spielt auch ‘Stuttgart 21′ eine große Rolle.” In Trier liegt die Quote bei rund zwei Prozent. Beim ersten Bürgerhaushalt mischten sich 1.500 Trierer ein, 2012 waren es bereits 2.300.
Vor fünf Jahren hatten die Gegner der Bürgerbeteiligung kritisiert, solche Formen der Mitbestimmung führten nur zu Luftschlössern und überzogenen Erwartungen in der Bevölkerung. “Doch genau das ist eben nicht passiert”, so Jensen. Der Umgang mit der neuen Beteiligungsform sei verantwortungsbewusst, sagte der OB. Das bestätigte auch Loosen-Bach. Die Vorschläge seien durchweg konstruktiv und sachbezogen. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Etwa dann, wenn über trier-mitgestalten die Anregung kommt, jeder Besucher sollte beim Altstadtfest ein kostenloses Getränk erhalten.
“Das gibt’s auch”, so Loosen-Bach, “aber die Idee ist dann so schlecht bewertet worden, dass sie es nicht in die Top-Vorschläge schaffte.” Dafür ist “Public Gardening” inzwischen zu einem Selbstläufer geworden. Auch dieser Vorschlag, dass Bürger freie Flächen in der Stadt selbst gestalten, kam aus dem Bürgerhaushalt. “Das hat wirklich einen echten Drive bekommen”, so Jensen. Für den Stadtchef ist klar: “Der Bürgerhaushalt liefe längst nicht mehr, wenn die Menschen feststellen müssten, dass sich nichts bewegt und nichts umgesetzt wird.”
Beim aktuellen Bürgerhaushalt können übrigens auch jene mitwirken, die keinen Internetzugang haben. Das geht per Post oder direkt bei der Stadtverwaltung. Für die Netz-Nutzer wurde trier-mitgestalten farblich verändert, um die einzelnen Ressorts besser unterscheiden zu können. Vorschlag und Anmeldung funktionieren jetzt gleichzeitig. Die eingegangenen Vorschläge werden dann sortiert. Der angemeldete Nutzer sieht jene für die Gesamtstadt und solche, die für seinen Stadtteil gemacht wurden. Die Anregungen für die Ortsteile gehen direkt an die Ortsbeiräte. Und wer will, kann auch im Archiv der letzten Jahre stöbern. (et)
Bürgerhaushalt Trier bei trier-mitgestalten.de
Bildquelle: Stadt Trier, Eric Thielen