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“200-Stunden-Woche” und Vier-Augen-Prinzip

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TRIER. Der ehemalige “Chef Weiterbildung” des Umweltzentrums (UWZ) der Handwerkskammer (HWK) Trier, dessen Vorgesetzter und zwei frühere Dozenten müssen sich seit heute vor dem Amtsgericht Trier verantworten. Der Vorwurf: Der ehemalige Ein-Euro-Jobber L., nach einiger Zeit zum Verantwortlichen für die Weiterbildung im UWZ aufgestiegen, soll mit Hilfe der Dozenten Harald W. und Reinhard O. seinen Gläubigern Geld vorenthalten haben. Möglich geworden sei dies, so die Anklage, weil sein Vorgesetzter Theodor B., dem die Finanzsorgen von L. bekannt waren, die Honorarforderungen ohne Prüfung unterschrieben und somit “durchgewunken” habe.

Steuerhinterziehung, Beihilfe zu dieser Straftat, Insolvenzbetrug und Betrug zu Lasten der Handwerkskammer, alle diese Vorwürfe standen im Raum. Zumindest der Betrugsvorwurf ist vom Tisch, der des Insolvenzbetrugs ist vermutlich nicht haltbar. Was bleibt, ist die Steuerhinterziehung durch den Hauptangeklagten L. – wiewohl die aus dem Jahr 2007 stammende Steuerschuld seit 2012 beglichen ist.

Die Beantwortung der Frage, wie diese Straftaten und Vergehen überhaupt möglich geworden sind, stand zwar nicht im Mittelpunkt der Verhandlung, gewann aber mit fortlaufender Zeit – der Tag vor Gericht war erst nach rund sieben Stunden zu Ende – immer mehr an Bedeutung. Der Begriff “Vier-Augen-Prinzip” wurde immer wieder genannt. Nach Angaben der Angeklagten ein “gängiges Prozedere bei Behörden und Institutionen”. Gemeint damit war der Ablauf bei der Rechnungsstellung von Honoraren. Die Dozenten Harald W. und Reinhard O. stellten Rechnungen für ihre Lehrgänge, Jürgen L. zeichnete sie als Erster ab, dann folgte sein Chef Theodor B. ohne Prüfung der tatsächlich erbrachten Leistungen – und dann wurde gezahlt. Wegen der ebenfalls unstrittig erbrachten Leistungen schrieb L., dessen Behauptung 200 Stunden in der Woche gearbeitet zu haben schon rein mathematisch nicht haltbar ist, Rechnungen an W. und O. weil er, so seine Begründung, selbst keine Rechnung stellen konnte, da er fest angestellt war und wegen der Zwangsversteigerung seines Eigenheims eine Eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte. Mit den dann von den Mitangeklagten überhöht gestellten Rechnungen – den Differenzbetrag zahlen sie an L. aus, hatte der dreifache Familienvater dann sein Auskommen. Als “Dank für das Entgegenkommen”, erhielt zumindest einer der beiden Mitangeklagten mindestens zweimal 250 Euro.

Die der Anklage ist angesichts der beglichenen Steuerschuld von L. und der Tatsache, dass der HWK kein materieller Schaden entstanden ist, zumindest in Bezug auf die Mitangeklagten wohl nicht von hoher Relevanz, zumal sie ihren lukrativen Nebenverdienst nach Beginn der polizeilichen Ermittlungen verloren und auch B., der Leiter des Umweltzentrums, seinen Job verloren hat, für ihr Verhalten schon reichlich gebüßt haben. Eine Einstellung des Verfahrens gegen die ehemaligen Dozenten wurde auch in Ansätzen schon diskutiert. Ob und wie B. und L. möglicherweise bestraft werden, hängt von weiteren Zeugenaussagen ab. Die Anwältin von L., Rebecca Weides, will am 29. Juli bei der Fortsetzung der Verhandlung vier weitere Personen im Zeugenstand sehen.

Auch die ehemalige Führungsriege der HWK ist noch längst nicht auf der sicheren Seite. Die Koblenzer Staatsanwaltschaft wird den ehemaligen Hauptgeschäftsführer Hans-Herrmann K., dessen damaligen Stellvertreter Dr. Josef A. und den früheren Leiter des UWZ, Theobald B., vor Gericht stellen. Sie sollen mit gefälschten Daten 880 000 Euro Zuschüsse für die Handwerkskammer kassiert haben.

Bildquelle: HHS/pixelio.de


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