TRIER. Die SPD hat am Freitagabend im Casino am Kornmarkt ostentativ Einigkeit demonstriert und nachdrücklich den Schulterschluss zwischen Rathaus, Landesregierung und dem Bund betont. Die Botschaft vor vollbesetztem Haus war deutlich: Nur ein SPD-Oberbürgermeister Wolfram Leibe könne Kontinuität in der Stadtentwicklung in enger Zusammenarbeit zwischen Trier, Mainz und Berlin garantieren. “Nur sympathisch und nett zu sein, reicht nicht, um eine Großstadt zu führen”, sagte Bundeswirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel. “Dafür muss man was von seinem Job verstehen”, so der Vizekanzler. Gabriel attestierte Leibe eine “große Berufserfahrung, die man braucht, um eine Verwaltung zu führen”. Den Part Attacke auf den politischen Gegner übernahm Ministerpräsidentin Malu Dreyer. “Wenn ich jetzt lese ‘gestalten statt verwalten’, dann kann ich nur sagen, das ist völlig falsch”, so Dreyer, “weil nur derjenige, der verwalten kann, auch gestalten kann.”
Von Eric Thielen
Nein, zum Abschluss nicht “Brüder, zur Sonne, zur Freiheit!” Das hätte auch nicht wirklich gepasst. Dann schon eher: “Wann wir schreiten Seit’ an Seit’” Wobei die Gegenwartsform ein falsches Bild suggeriert hätte. Denn noch ist Wolfram Leibe nicht Oberbürgermeister von Trier. So gesehen, wäre wenn schon die Zukunftsform abgebracht gewesen. Doch die Genossen schenkten sich am Freitagabend jede Form von Pathos. Sie rückten Vernunft und kaltes politisches Kalkül deutlich in den Vordergrund, hier und da gewürzt mit einigen Bonmots ihres Bundesvorsitzenden.
Für die SPD ist die unsichtbare, aber darum beileibe nicht unwichtige Linie klar. Die führt von Trier über Mainz nach Berlin. Am Rhein regiert Malu Dreyer, an der Spree sitzen die Genossen mit ihrem Vizekanzler Gabriel in der Regierung, an der Mosel schwingt noch der Sozialdemokrat Klaus Jensen das Stadtzepter. Auf ihn soll Leibe folgen, damit die Linie ihren westlichen Endpunkt behält. Der alles übertönende Tenor an diesem Abend: Ohne Berlin geht in Trier nichts, und ohne Mainz geht noch viel weniger. Was in den Ohren der politischen Konkurrenz wie eine Drohung klingen mag, ist für die SPD nur logisch, folgerichtig und auch konsequent.
Weil der hiesige Stadtchef eben nicht autark ist, muss er oft als flehentlicher Bittsteller in Mainz und Berlin Klinken putzen. Trier hängt am Tropf, und das wird sich in den kommenden Jahren nicht ändern. Theaterneubau oder Sanierung des alten Hauses am Augustinerhof, Schulrenovierungen, Straßenbau, Feuerwache, Stadtteil-Projekte – all das wird in die Millionen Euro gehen. Mainz kann den Daumen heben oder senken, Berlin auch. Dass ein roter Oberbürgermeister bei der roten Landesregierung eher offene Türen vorfindet als ein schwarzer, mag deshalb plausibel sein. So zumindest sieht das die SPD. Von daher wollen die Genossen Kontinuität auf dem Chefsessel im Rathaus – von Klaus Jensen zu Wolfram Leibe.
Folglich klingt der Satz von Dreyer wie ein Wahlversprechen. “Wir wären echt ein gutes Paar”, sagte die Ministerpräsidentin. Gemeint war nicht Klaus Jensen. Denn dann hätte sie wirklich die Gegenwartsform bemühen müssen. Schließlich sind Klaus Jensen und Malu Dreyer in der Öffentlichkeit auf jeden Fall ein gutes (Ehe-)Paar. Gemeint war vielmehr Wolfram Leibe. So er denn gewählt werden wird, wäre Leibe für Dreyer “ein wunderbarer Partner”. Einer, der weiß “wie Wirtschaft tickt”. Einer, der jetzt schon “ein 4,5-Milliarden-Euro schweres Budget verwaltet und seine Arbeit immer in den Dienst der Menschen stellt”. Und einer, der “die Kontinuität zur Arbeit von Klaus Jensen garantiert, der während der großen Finanzkrise aus dem Konjunkturpaket heraus Millionen nach Trier geholt hat”.
Da rauschte es wie zarte Musik in den Ohren aller Genossen, als Gabriel sagte: “Wüsste ich nicht auch so schon, dass du ein sehr guter Mann bist, Wolfram, ich würde es allein deswegen schon glauben, weil Malu es sagt.” Das ist der Blick durch die Brille mit den roten Gläsern. Der politische Gegner mit dem schwarzen Sehgerät käme wohl zu einer anderen Interpretation: Die Genossen machen sich angesichts fallender Umfragewerte selbst Mut – das rote Pfeifen im schwarzen Wald. Dreyer kämpft im Land mit den Altlasten aus der Ära von “König Kurt”. Gerade erst kündigte die Staatsanwaltschaft Koblenz die Prüfung des jüngsten Berichts des Landesrechnungshofes zum Desaster am Nürburgring an. Die Beckschen Brandherde – in der Alleinregierung großzügig übers ganze Land verteilt – schwelen noch immer.
Dreyer ist eifrig mit den Löscharbeiten beschäftigt. Die CDU im Land sieht darin eher das schlechte Gewissen der Ministerpräsidentin. Schließlich war Dreyer auch schon unter Becks Ägide am Kabinett beteiligt. Das sind die dunklen Schatten, die von Mainz aus nach Trier fallen und der hiesigen SPD einen dicken Strich durch ihre Rechnung machen könnten, erneut den Chefsessel im Rathaus zu besetzen. Die Wahl von CDU-Kandidatin Hiltrud Zock als Nachfolgerin von Klaus Jensen aber wäre eine herbe Niederlage für die Ministerpräsidentin in deren eigenem Wohnzimmer.
Schwarz-Grün als roter Albtraum
Denn die Instinktpolitikerin Dreyer weiß nur zu gut, dass von ihrer Stadt aus ein Signal durchs Land gehen könnte. Zwischen Filsch und dem Markusberg macht sie sich stark, hier mischt sie sich ein, hier zeigt sie Präsenz, wann immer sie kann. Schon im Kommunalwahlkampf hatte sie die Genossen aufgefordert, möglichst frühzeitig ihre Hand auf das freiwerdende Baudezernat zu legen. SPD-Chef Sven Teuber schwamm nach der Steilvorlage von CDU-Fraktions-Chef Ulrich Dempfle vom Beginn des Jahres auf Dreyers Welle und brachte zudem einen Wechsel im Sozial- und Schuldezernat ins politische Spiel ein.
Vier Monate später registrieren aufmerksame Beobachter der politischen Szene durchaus Anzeichen dafür, dass die Sozialdemokraten in Trier komplett vor die Wand fahren könnten. Denn die lokale Politik wird längst nicht nur in Trier gemacht. Nach der Wahl ist vor der Wahl ist nach der Wahl. Soll heißen: Trotz der Ankündigung von Dempfle, die SPD nicht aus dem Stadtvorstand ausschließen zu wollen, könnten die Genossen nach Jensens Amtszeit in der Stadtregierung nicht mehr vertreten sein. Denn die Union im Land kann nur um die Grünen buhlen, um Dreyer so aus der Staatskanzlei zu verdrängen. Die FDP ist mausetot. Das haben die jüngsten Wahlen im Osten dick unterstrichen. Die AfD aber kommt als Partner nicht infrage.
Nichts liegt also näher, als die OB-Wahl im Oberzentrum Trier als Experimentierfeld für Mainz zu nutzen. Die Grünen verzichten bei einer Stichwahl zwischen Zock und Leibe auf eine Wahlempfehlung oder sprechen sich sogar für Zock aus. Die Kandidatin der Union wird neue Oberbürgermeisterin. Dafür wird Fred Konrad Nachfolger von Angelika Birk als Bürgermeister, und die Grünen drücken bei Simone Kaes-Torchiani gleich zwei Augen zu. Die umstrittene Baudezernentin der CDU bekommt eine zweite Amtszeit. Zur Wahl stellen will sie sich ohnehin. Im Sog der neuen Trierer Konstellation hofft Julia Klöckner in Mainz dann auf hessische Verhältnisse. In Wiesbaden regiert die Union seit Januar 2014 mit den Grünen.

In der ersten Reihe: Markus Nöhl, Fraktionsgeschäftsführer der SPD im Stadtrat, OB Jensen, Barley und Gabriel (v.l.n.r.).
Das ist der Albtraum, der die Genossen jede Nacht und auch bei Tage drückt. Auch deswegen kämpfen sie mit Zähnen und Klauen für Leibe um den Chefsessel im Rathaus. Deswegen holen sie den Bundesvorsitzenden der Partei nach Trier, obwohl der als Wirtschaftsminister und Vizekanzler beileibe andere Dinge zu verrichten hätte, als in der Provinz Wahlkampf zu machen. Deswegen räumt Sigmar Gabriel hier an der Mosel ein, dass die Städte und Gemeinden finanziell nicht vernünftig ausgestattet sind, weil Bund und Länder sie mit Pflichtaufgaben überforderten, dass er sich als Sozialdemokrat aber für eine deutliche Verbesserung einsetzen wolle. Auch dahinter steht eine klare Botschaft: Wolfram Leibe wird als SPD-Oberbürgermeister über die Kanäle Dreyers immer ein offenes Ohr beim Vizekanzler Gabriel finden.
So sieht ein demonstrativer Schulterschluss im Wahlkampf aus. Den garniert Gabriel schließlich noch mit einigen Sätzen, die einfach dazugehören. Das Wahlrecht sei die einzige Form, gewaltfrei für Veränderungen zu sorgen. Doch genau die wollen die Trierer Genossen ja eben nicht. Sie wollen Kontinuität. Dazu rät der Partei-Chef einfach, aber schlüssig: Die SPD müsse sich dafür einsetzen, dass möglichst viele Menschen zur Wahl gingen, “weil kommunale Wahlen weitaus wichtiger sind als im Bund oder im Land”. Wen die Menschen wählen sollen, liegt für den Vizekanzler klar auf der Hand: “Das ist auch relativ einfach: Wolfram Leibe natürlich.”
Dabei schaut Gabriel zum SPD-Kandidaten auf. “Das muss ich ja immer, weil ich nicht so groß bin wie du. Bei mir ist das mehr in die Breite gegangen.” Hier irrt der Partei-Chef dann doch. Leibe ist länger als Gabriel, politisch groß will er erst noch werden – als Nachfolger von Klaus Jensen. Aber so ist das eben mit den Tempora und Begrifflichkeiten: Im harten Wahlkampf sind die Grenzen oft fließend. (et)
ZUM THEMA
Gabriel und die Trierer Viezporz
Bildquelle: Eric Thielen