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Wolfram Leibe im Interview –“Konzepte haben wir jetzt genug”

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TRIER. Als Überraschungskandidat wurde er von den Sozialdemokraten Anfang des Jahres aus dem Hut gezaubert. Doch Wolfram Leibe geht als ernsthafte Alternative zu CDU-Kandidatin und Ur-Triererin Hiltrud Zock in das Rennen um das Oberbürgermeisteramt. Der 53-jährige Jurist besticht vor allem mit seiner Verwaltungserfahrung. Im Interview mit lokalo macht Leibe deutlich, warum er als ehemaliger Leiter der Arbeitsagentur und jetziger Geschäftsführer der baden-württembergischen Regionaldirektion der Agentur für Arbeit für das höchste Amt der Stadt gewappnet ist. Dabei betont er, dass neben der Entwicklung von langjährigen Konzepten auch pragmatische Entscheidungen notwendig sind. Um Visionen entwickeln zu können, ist für ihn die “schwarze Null” in den kommenden Haushaltsjahren Voraussetzung. Yvonne Romes sprach mit Wolfram Leibe.

Herr Leibe, Sie kommen jetzt direkt von Ihrer Arbeitsstelle in Baden-Württemberg angereist. Wie schwer fällt Ihnen das Pendeln zwischen Job und OB-Wahlkampf?

Leibe: Ich wohne seit 2008 mit meiner Familie in Trier, und wie viele Menschen bin ich seit 18 Monaten Wochenendpendler. Es stimmt, ich bin viel unterwegs, hauptsächlich in Baden-Württemberg, aber auch regelmäßig in Berlin. Aber das ist in meinem Job elementar. Da geht es nicht nur um reine Verwaltungsausgaben, sondern auch um politisches Netzwerken. Ich weiß, was es heißt, wenn man für etwas politisch kämpfen und Kontakte knüpfen muss. Und genau das bestimmt auch die Arbeit eines Oberbürgermeisters. Man ist nicht nur Chef einer Verwaltung, sondern vor allem auch oberster Lobbyist der Stadt in Mainz und in Berlin. Der Trierer OB muss am Sitz der Landesregierung präsent sein, konstruktiv, aber manchmal auch lästig.

In welchem Themenbereich sehen Sie dazu besondere Notwendigkeit?

Leibe: Zum Beispiel beim Verkehr: Infrastruktur kann Trier nicht mit eigenen Mitteln schaffen, dazu gehört die Zusammenarbeit mit dem Land, aber auch mit den Bundestagsabgeordneten. Ein Projekt wie die Westtrasse macht beispielsweise nur Sinn, wenn eine Anbindung an die Hauptverkehrswege gegeben ist. Mit der Mittelzusage des Landes für die Westtrasse müssen jetzt schon Gespräche geführt werden, wie eine Weiterentwicklung auf der Hauptbahnstrecke möglich wird. Die Entscheidung darüber liegt aber nicht in unserer Hand.

Was liegt denn in Ihrer Hand? Was möchten Sie anstoßen?

Leibe: Was mich auszeichnet, ist, dass ich gut zuhören und auf dieser Grundlage Entscheidungen treffen kann. Ich bin erstaunt, wie viele und gute Konzepte es schon in dieser Stadt gibt und wie sehr die Verwaltung mit der Erstellung dieser Konzepte überlastet wird. Mein Credo ist: Konzepte haben wir jetzt genug. Wir müssen Entscheidungen treffen, um unsere Stadt zukunftsfähig zu machen. Trier braucht kein weiteres Schulentwicklungskonzept, sondern gute Schulen. Bei solch wichtigen Entscheidungen muss ein Oberbürgermeister für eine rasche Umsetzung sorgen.

Oberbürgermeister Klaus Jensen wurde in den letzten Monaten vermehrt vorgeworfen, sich zu wenig einzumischen und wichtige Themen seinen Dezernenten zu überlassen. Wie sehen Sie Ihre Rolle im Stadtvorstand?

In Bürgernähe: Wolfram Leibe im Gespräch vor der Porta.

In Bürgernähe: Wolfram Leibe im Gespräch vor der Porta.

Leibe: Ich bin schon der Meinung, dass ein Oberbürgermeister sich der Gesamtverantwortung stellen und sich daher auch bei wichtigen Dezernatsthemen einbringen muss. Aus meiner derzeitigen Tätigkeit als Mitglied einer Vierergeschäftsführung in der Regionaldirektion weiß ich, dass gute Zusammenarbeit auch gute Ergebnisse bringt. Als OB werde ich in einigen Bereichen Schwerpunkte anders setzen, und das wird sich auch im Zuschnitt der Dezernate widerspiegeln. Ich möchte dies in Abstimmung mit den Dezernenten und den Stadtratsfraktionen tun. Natürlich ist das auch immer abhängig von der Frage, welche Personen der Rat in die Position eines Dezernenten oder einer Dezernentin wählt. Das Dezernat beziehungsweise die Aufgabe und die Qualifikation eines Dezernenten müssen übereinstimmen. Die Nominierung und Wahl der Dezernenten ist ein demokratischer Prozess, auf den der Oberbürgermeister formal wenig Einfluss hat. Ich gehe jedoch davon aus, dass der OB hier im Vorfeld ebenfalls gehört wird.

Würden Sie sich in Sachen Dezernentenwahl und auch in der Durchsetzung Ihrer politischen Ziele die Unterstützung durch ein Bündnis im Rat wünschen?

Leibe: Fest steht: Ein Oberbürgermeister braucht alle Fraktionen. Ich persönlich brauche kein Bündnis, ich suche mir meine Mehrheiten. Ich nenne das “die Koalition der Vernünftigen”. Es geht um die Menschen in dieser Stadt, da darf es kein Gegeneinander geben. Welche Bündnisse zur Zeit auch immer diskutiert werden, warten wir die OB-Wahl doch einmal ab. Die Chance liegt darin, dass wir Gestaltungsspielräume wieder gewinnen, indem wir Themen und Aufgaben priorisieren.

Welche sind das Ihrer Meinung nach?

Leibe: Oberste Priorität hat es für mich, unsere Stadt zukunftsfähig zu machen. Dazu gehört vor allem die “Schwarze Null” im Haushalt, möglichst ab dem Haushaltsjahr 2015/16. Dann geht es zu allererst um gute Schulen, bezahlbare Wohnungen und Verkehrsentlastung. Zusätzlich brauchen wir eine klare Lösung für das Theater, bei dem ich für den Erhalt der drei Sparten einstehe. Wir müssen auch die Verwaltung zukunftsfähig machen. Was sich in einigen Punkten auf jeden Fall ändern wird, ist die Zusammenarbeit im Rathaus. Der Oberbürgermeister ist Chef der gesamten Verwaltung und sollte auch wichtigster Ansprechpartner der Bürger sein. Ich habe gute Erfahrungen mit einem strukturierten Kundenreaktionsmanagement gemacht. Im Rathaus sähe das dann so aus, dass ein oder zwei Personen im Stab des Oberbürgermeisters immer eine offene Tür für Anregungen und Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger haben. Bei Problemfällen helfen sie und können sich sofort aus allen Ämtern heraus informieren lassen. Jeder Bürger erhält dann innerhalb von 14 Tagen eine qualifizierte Antwort. Das wäre ein konkretes Beispiel für meinen Anspruch an eine gute Verwaltung. Und das lässt sich auch hier in Trier umsetzen, denn in der Stadtverwaltung arbeiten viele gute Leute.

Drei Ziele in 100 Tagen

Lassen Sie uns Ihre Zielvorstellungen thematisch abarbeiten. Ich gebe Ihnen Stichworte, Sie erläutern Ihre Positionen. Stichwort: Wirtschaftsförderung.

Leibe: Zunächst einmal ist zu sagen, dass Wirtschaftsförderung ein sehr breites Themenspektrum umfasst. Gewerbeflächen, Gewerbesteuern, gute Schulen und Hochschulen, Fachkräfte, Infrastruktur, aber auch die Schaffung von Kita-Plätzen gehören zur unmittelbaren Wirtschaftsförderung. Studien zeigen, dass Firmenverlagerungen innerhalb von Deutschland nahezu nicht mehr stattfinden. Deshalb ist es wichtig, unsere vorhandenen Unternehmen in Trier zu fördern und Neugründungen zu unterstützen. Mit unseren Einrichtungen hier vor Ort bilden wir Fachkräfte aus, die wir auch in der Stadt und Region halten müssen. Die derzeitige Planung mit dem Gewerbegebiet am Kockelsberg finde ich grundsätzlich gut. Wünschenswert wären Neugründungen in einem großen fachlichen Spektrum, vom Dienstleistungsbereich über Handwerksbetriebe bis zu Ausgründungen aus den Hochschulen. Ein besonderes Augenmerk sollten wir auch auf die Entwicklungschancen des Trierer Hafens legen. Logistik ist die Zukunftsbranche.

Verkehr

Eingerahmt: Der Kandidat zwischen Bildungsministerin Doris Ahnen und Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

Eingerahmt: Der Kandidat zwischen Bildungsministerin Doris Ahnen und Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

Leibe: In Trier sind sowohl die Optimierung des Individualverkehrs als auch des ÖPNV zentrale Themen. Zum Moselaufstieg: Verkehrsprojekte erfordern hohe Investitionen und müssen daher besonders kritisch in Bezug auf den Kosten-Nutzen-Faktor betrachtet werden. Ich denke daher, dass die für den Moselaufstieg benötigten Mittel an anderer Stelle erfolgreicher eingesetzt werden können. Ich befürchte, dass die Wirtschaftlichkeitsprüfung durch den Bund länger dauert und damit andere wichtige Verkehrsprojekte, die der Bund finanzieren müsste, mit Hinweis auf die mögliche Großinvestition “Moselaufstieg” nicht mehr finanziert werden. Die Westtrasse als wichtiges Infrastrukturprojekt kommt. Die Weiterentwicklung auf der Hauptbahnstrecke ist der nächste Schritt. Aufgrund der aktuellen Situation des Güterverkehrs kann ich die Befürchtungen der Anwohner am Westufer verstehen. Glücklicherweise wird sich die Situation ja ab August wieder entspannen, wenn die Bauarbeiten in Ehrang abgeschlossen sind. Das Vorgehen der Bahn, dies ohne Information der Bürger zu tun, kann aber nicht akzeptiert werden. Sollte die Bahn die Westtrasse auch in Zukunft für den Güterverkehr nutzen wollen, sind Lärmschutzmaßnahmen, wie auch auf der Oststrecke, Tempo 30 für die Züge und vor allem eine Einbindung und Information der Bahn unbedingt notwendig. Eine frühzeitige Einbindung der Bürgerinnen und Bürger ist auch bei der Umsetzung des Regionalbahnkonzepts notwendig.

Bürgerbeteiligung

Leibe: Hier muss man meiner Ansicht nach zwischen institutioneller Bürgerbeteiligung, wie beispielsweise die wertvolle Arbeit in den Ortsbeiräten, und der Bürgerbeteiligung bei Einzelprojekten unterscheiden. Bürgerbeteiligung an Einzelprojekten braucht Zeit. Wenn man diese Zeit aber im Vorfeld einplant, dann kostet es weniger, als wenn es später zum Streit kommt. Ein höherer Aufwand am Anfang führt zu geringerem Aufwand am Ende. Das heißt nicht, dass man alle zufriedenstellen kann, aber der gesamte Prozess sollte von der Mehrheit als gerecht und transparent empfunden werden. Das heißt für mich “partizipative Demokratie” leben, und das ist mein Anspruch.

Theater

Leibe: Ich stehe klar für den Erhalt des Drei-Sparten-Hauses am jetzigen Standort. Ob Neubau oder Sanierung − Entscheidungsgrundlage sollte ein Wirtschaftlichkeitsgutachten sein. Bei einem so bedeutenden Projekt ist der OB auch persönlich gefordert. Aber das Theater ist nicht das einzige Kulturthema. Trier hat eine vielfältige Kunst- und Kulturszene. Das muss auch so bleiben.

Wohnraum

Leibe: Trier gehört zu den Großstädten in Deutschland, die wachsen. Ich denke, allen Beteiligten dürfte klar sein, dass wir deshalb dringend neuen Wohnraum brauchen. Und dieser Wohnraum – das ist eine Grundbedingung – muss bezahlbar sein. Daneben brauchen wir auch sozialen Wohnungsbau.

Nach 100 Tagen Amtszeit wird traditionell ein Resumee der bisherigen Arbeit gezogen. Über die Umsetzung welcher drei Wunschprojekte sollten wir nach spätestens 100 Tagen berichtet haben?

Leibe: Eine spannende Frage. Nach 100 Tagen möchte ich mit den Fraktionen im Stadtrat eine Entscheidung über die Gründung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft abstimmen. Die 700 kommunalen Wohnungen, die nur mit Hilfe von Bundes- und Landesmitteln saniert werden können, sollten auch in städtischer Hand bleiben. Zweitens: Ich möchte den Stadtrat davon überzeugt haben, dass die spürbare Blockade beim Thema Grundschulen gelöst werden muss, damit sich endlich etwas beim Thema “Gute Schule” bewegt. Drittens: Erste Lärmschutzmaßnahmen für die Anwohner der Westtrasse sollten von der Bahn eingeleitet worden sein, falls weiterhin Güterzüge über diese Strecke fahren.

Herr Leibe, vielen Dank für das Gespräch.

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Bildquelle: Eric Thielen


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