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Große Farbigkeit mit meditativer Expressivität – Ben van Oosten spielte an der Trierer Domorgel

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TRIER. Sinfonien verortet man normalerweise im Konzertsaal, ausgeführt von mehr oder weniger großen Orchestern. Es gibt sie aber auch für die Orgel, wie man beim jüngsten Konzert im Trierer Dom erleben konnte.

Für viele Menschen ist die Orgelmusik eines Johann Sebastian Bachs der Inbegriff dieses Genres und sicherlich ist es richtig, wenn so manch einer behauptet, dass der Thomaskantor diese Gattung zur Perfektion gebracht hat. Auffällig ist auch, dass nach Bach das Instrument Orgel und seine Musik einen gewissen Niedergang im Interesse der Komponisten und auch der Zuhörer erlebte. Eine neue Blüte erlebte die Königin der Instrumente erst in der Romantik, sowohl in ihrem Bau als auch in den Kompositionen. Hand in Hand arbeiteten dabei Orgelbauer und Komponisten zusammen und schufen einen neuen Typ Orgel, mit dem man sich vom barocken Klangbild verabschiedete. Eine Hochburg in dieser Entwicklung war Frankreich, wo man einen völlig neuen Klangtyp entwickelte. Untrennbar verbunden sind mit dieser Zeit die Namen Aristide Cavaille-Coll als Orgelbauer und der Komponist Charles Marie Widor. Die Instrumente Cavaille-Coll’s zeichneten sich durch eine große technische Perfektion aus und gelten bis heute hin als ein großes Vorbild für alle Orgelneubauten, die dem französischen Klangmuster entsprechen sollen. Widor wird als der Vater einer neuen Form in der Orgelmusik angesehen, der Orgelsymphonie.

Ein Organist, der sich wie kaum ein anderer sowohl mit dem Instrument als auch mit dieser Musikgattung befasst hat, ist der Niederländer Ben van Oosten, der das dritte Konzert der internationalen Orgeltage im Trierer Dom gestaltete. In seinem Gepäck hatte er, fast möchte man sagen “natürlich”, eine Symphonie von Widor und eine vom Widorschüler Louis Vierne. Eine einsame Berühmtheit hat im Schaffen Widors seine fünfte Symphonie erreicht und hier insbesondere die Finale Toccata, die auch bei vielen Menschen, die sich nicht so explizit für Orgelmusik interessieren, einen hohen Stellenwert hat. Dieses Werk hatte van Oosten nicht dabei, sondern mit der dritten der insgesamt zehn überlieferten Symphonien ein Werk aus der Anfangszeit, das von seinem Schöpfer immer wieder überarbeitet wurde. Sehr deutlich wurden in van Oostens Interpretation die Anklänge dieses Werks an die Pendants aus der Orchestermusik, etwa eines Robert Schumanns, eines Felix Mendelssohn Bartholdys oder auch eines Ludwig van Beethoven. Anders als in der Zweisätzigkeit, die im Barock vorherrschte, gibt es hier gleich fünf Sätze, bei denen neben einem Präludium und einem Finale auch ein Menuett und ein Marsch nicht fehlen. Die Orgel wird dabei zu einem Orchester mit vielen, teils überraschenden Klangfarben und einer breiten Dynamik. Einerseits wuchtig und erhaben, andererseits aber auch filigran, ätherisch, wie aus einer anderen Welt.

Vierzig Jahre nach der Entstehung der Urfassung dieser Widorsymphonie verfasste Vierne 1911 ebenfalls sein drittes Werk dieser Gattung. Auch dieses Opus 28 umfasst fünf Sätze, hat eine Dauer von ungefähr 30 Minuten. Und doch war diese Symphonie so ganz anders. Kein Rückblick mehr auf die klassischen Vorbilder aus dem Konzertsaal. Hier konnten die Konzertbesucher jetzt eine ganz eigene Tonsprache entdecken. Van Oosten verstand es bestens, den Spannungsbogen, der das gesamte Werk umgibt, aufzubauen und bis zur letzten Note des Finales zu halten. Er packte mit seinem Spiel die Zuhörer und führte sie von einem Höhepunkt zum nächsten. Dabei gelang es ihm, besonders dem ruhigen vierten Satz eine sehr innige, meditative Expressivität zu verleihen, deren Emotionalität keine Wünsche mehr offen ließ.

Beide Symphonien sind für gewaltige Orgel geschrieben worden. Widor war Organist an der Pariser Kirche Saint Sulpice und verfügte über eine Orgel mit 100 Registern und Vierne war an der Kathedrale Notre Dame, wo sich ebenfalls ein solch klanggewaltiges Instrument befand. Ansprüche, denen die Klais-Orgel im Trierer Dom nicht gerecht werden konnte. Sie nimmt sich mit ihren 67 Stimmen geradezu bescheiden aus. Wer eines der beiden Werke schon einmal auf einem Originalinstrument gehört hat, dem musste der entscheidende Schub an Kraft fehlen. Und doch gelang es van Oosten, seinem Publikum einen überzeugenden und glaubhaften Eindruck dieser Musik zu vermitteln. Insbesondere in der Farbigkeit musste man nichts vermissen. Auffällig war auch, dass die Renovierung des Instrumentes, die in diesem Frühjahr durchgeführt wurde, der Klangstabilität sehr gut bekommen ist. Auch bei vollgriffigem Spiel mit allen Registern geht der Domorgel jetzt nicht mehr die Luft aus. Ein Abend, der es in sich hatte.

Das nächste Konzert der internationalen Orgeltage ist am Dienstag, 10. Juni, um 20 Uhr. Der Mainzer Domorganist Daniel Beckmann spielt dann ein Programm unter der Überschrift “Rund um Bach – Musik im Geiste des Barock”. Zur Aufführung gelangen Kompositionen von Antonio Vivaldi, Johann Sebastian Bach bis hin zu Franz Liszt.

Bildquelle: Privat


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